Todesmutig

„Das Leben möchte sich von mir scheiden lassen. Es findet, dass ich zu destruktiv bin“, sagte der Tod und rümpfte die Nase.
„Nein“, schrie das Schicksal auf.
„Ich weiß, ich weiß. Kaum zu glauben, was? Es heißt ja auch nicht, bis dass das Leben euch scheidet.“
„Was ist mit der Liebe? Kann die nicht helfen?“
„Die ist sehr beschäftigt. Bei all dem Hass auf der Welt, kein Wunder.“
Das Schicksal lief aufgeregt durch den Raum. „Wie könntest du dem Leben nur zeigen, dass dir viel an ihm liegt?“
Der Tod zuckte mit den Schultern. Das Schicksal strahlte. „Du könntest jemanden verschonen.“
Das Lachen des Todes hallte bis in die entlegensten Winkel des Universums.
„Liebes Schicksal, so gerne ich auch mit dir zusammenarbeite, und wir sind ein gutes Team, verzichte ich auf deinen Ratschlag. Überall, wo du auch wandelst, bringst du Unordnung und Chaos.“
Das Schicksal brummte: „Du bist aber gemein. Ich vollbringe auch Gutes. Es wird nur schnell übersehen und mit dem Glück verwechselt.“
„Glück hin oder her. Schwerer Unfall auf der Autobahn. Ganz nach meinem Geschmack. Ich muss los.“
In Blitzgeschwindigkeit eilte das Schicksal hinterher, um ihm zuvorzukommen. Doch es kam zu spät.

Der Tod weilte am Rande der Autobahn und rieb sich die Hände, um sie zu wärmen. Das Leben stürmte auf ihn zu, er sah es nicht kommen, bis es ihn boxte.
„Aua. Was habe ich jetzt schon wieder getan?“
„Am liebsten würde ich dich umbringen. Sie sollte eines Tages den Friedensnobelpreis erhalten.“
„Wen meinst du?“ Der Tod hielt sich immer noch die Seite.
„Die junge Frau, die bei dem Unfall ihr Leben verloren hat. Bist du noch bei Trost?“
„Woher sollte ich das denn jetzt schon wieder wissen? Du redest ja nicht mehr mit mir. Außerdem ist das die Aufgabe des Schicksals.“
Das Leben schüttelte sich.
„Um keine Ausrede verlegen. Du bist herzlos. Wann hast du das letzte Mal jemanden verschont?“
Der Tod schwieg.
„Siehst du! Wir beide haben uns nichts mehr zu sagen.“
Der Tod war traurig. Das Leben ging weiter.

Aaron saß auf dem Sofa und wartete auf den Tod. Neben ihm lag eine leere Tablettenpackung. Als der Tod endlich kam, machte er gleich wieder kehrt.
„Fehlalarm. Dauert noch, bis die Wirkung einsetzt. Ich bin in einer Stunde zurück.“
„Nein, jetzt! Seit meine Verlobte mich verlassen hat, hat das Leben keinen Sinn mehr.“
Der Tod schaute Aaron tief in die Augen. „Was hast du da über das Leben gesagt?“
„Das Leben ist scheiße. Es kann mich mal.“ Aaron verschränkte die Arme.
„Du beleidigst das Leben? Die Liebe meines Lebens? Dafür wirst du büßen.“ Der Tod hielt inne. „Zur Strafe werde ich dich nicht sterben lassen.“
„Wie das?“
„Steh auf und spuck sofort die Tabletten wieder aus!“
„Nein, das mache ich nicht.“
„Mach den Mund auf! Aber dalli!“
Aaron presste die Lippen aufeinander, bis sie nur noch eine dünne Linie waren.
„Jetzt ist aber Sense!“
Der Tod packte Aaron am Hemdkragen, zerrte ihn zu Boden, setzte sich rittlings auf ihn und hielt ihm mit einer Hand die Nase zu. Der riss den Mund auf, schnappte nach Luft, schlug mit den Fäusten auf den Tod ein und näselte: „Lass mich los! Lass mich los!“
Doch seine schwarze Seele kannte kein Erbarmen. Er drückte Aaron zu Boden, steckte ihm einen Finger in den Hals und die Tabletten fanden ihren Weg auf die Welt zurück. Als er davonzog, nahm er alle Pillen mit. Selbst die Brausetabletten, die nach Orange schmecken. Und sämtliche Seile, wenn er welche gefunden hätte. Sowie alle Messer. Auch die klimaunfreundlichen aus Plastik.

Auf der Suche nach dem Leben pfiff der Tod vergnügt vor sich hin. Wie es der Zufall wollte, traf er dabei auf das Unglück. Er prahlte mit seiner Tat, ein Menschenleben bewahrt zu haben. Nun dürfte das Leben ihm ja nicht mehr böse sein. Da erzählte das Unglück, dass der Tod sich zu früh gefreut habe. Aaron hätte sich ein Jagdgewehr besorgt.

Durch ein offenstehendes Wohnzimmerfenster plumpste der Tod in die Wohnung von Aaron, der gerade das Gewehr entsicherte. Er richtete sich auf.
„Woher hast du die Waffe? Das ist kein Spielzeug.“
„Das hoffe ich doch.“ Aaron legte das Gewehr an und zielte auf den Tod. „Hände hoch!“
Der ging auf Aaron zu.
„Bleib stehen! Ich will deine Hände sehen!“
Schnell und anmutig – er glich einem Panther, zumindest würde er das dem Leben später so erzählen – sprang der Tod auf Aaron zu, griff nach der Büchse und zog an ihr. Doch Aaron ließ nicht los. Es ging zwischen ihnen hin und her, gerade noch linksrechts, im nächsten Moment südlich diagonal über den Tisch. Mal war einer von ihnen unten, mal der andere oben, bis es dem Tod zu bunt wurde. Mit allen metaweltlichen Kräften riss er an dem Gewehr. Doch kaum hielt er es in den Händen, verlor er das Gleichgewicht und die Waffe. Sie flog in hohem Bogen durch das Fenster nach draußen auf die Straße mitten in eine Fußgängerzone. Ein Schuss löste sich. Ein Schrei war zu hören. Der Tod und Aaron erstarrten und sahen sich mit großen Augen an, bevor sie zum Fenster rannten.

Eine junge Frau lag in einer roten Lache auf dem Boden. Ihre Einkäufe waren um sie herum verstreut. Ein Passant mit einem dicklichen Pudel rief nach einem Krankenwagen, der Polizei und einem Verbot von Waffen.
„Ganz toll gemacht! Nun hast du doch jemanden umgebracht.“ Aaron klopfte dem Tod auf die Schulter und schüttelte den Kopf.
„Das wird mir das Leben nie verzeihen. Ich hätte den Rat vom Schicksal annehmen sollen. Das habe ich nun davon.“ Der Tod schlug die Hände vors Gesicht und wimmerte, da lächelte Aaron.
„Schau doch! Der Frau geht es gut. Der Schuss hat sie verfehlt. Sie ist nur vor Schreck hingefallen. In ihrer Einkaufstüte war anscheinend Johannisbeersaft. Was für ein Glück im Unglück.“ Er rannte aus der Wohnung, um der Frau zu helfen, ihre Einkäufe einzusammeln. Die Hoffnung triumphierte.

Langsam nahm der Tod die Hände herunter. Und wer winkte ihm von der gegenüberliegenden Straßenseite zu? Das Schicksal.

 

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